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Abschied und Tod: Mitgliederbeitrag von Sonja Böge

Unitarischen Grundgedanken im Lebensalltag

Thema: Abschied und Tod

Abschied

Ich glaube, dass alles, was ist, eine Ganzheit bildet. Die vielfältigen Erscheinungsformen des Ganzen sind eingebunden in einen allumfassenden Zusammenhang. Ich erlebe mich als Teil dieses Zusammenhangs, der uns trägt und auf den wir Einfluss nehmen können.*

Meine Mama war auch ein Teil des Ganzen und damit auch meines Lebens, wie sie Teil des Lebens vieler Menschen war. Schon im Moment ihrer Geburt hat sie begonnen, Bänder zur Welt zu knüpfen und ein Teil von etwas Größerem zu werden, als sie selbst es war.

Mit ihrer Geburt wurde Sie Tochter und Schwester. Nichte, Enkelin. Das waren ihre ersten Verbindungen mit der Welt.

Später wurde sie Schwägerin, Ehefrau, Schwiegertochter, noch später Tante, Mutter, Schwiegermutter und sogar Großmutter und Urgroßmutter. Sie hat so viele Menschen berührt.

Dann ist sie gestorben.

Aber alle ihre Verbindungen haben noch eine andere Seite, und die besteht weiterhin. Ich bin noch immer ihre Tochter, ebenso wie meine Schwester. Mein Bruder ist noch immer ihr Sohn, die Kinder und das Kindeskind ihrer Kinder, sind noch immer ihre Enkel und Enkelin, ihre Urenkeltochter. Ihre Brüder sind noch immer ihre Brüder.

Aber obwohl unsere Verbindung weiterbesteht, unser Band zu ihr nicht zerrissen ist, ist sie doch nicht mehr da. Was immer wir einander getan haben - meine Mama und ich, meine Mama und all die anderen Menschen, mit denen sie verbunden war, von denen sie noch immer ein Teil ist, im Guten wie im Schlechten - hat ein Ende gefunden. Meine Mutter wird unser Leben nicht mehr berühren, nicht mehr verändern können.

Wir können nie wieder mit ihr sprechen, nie wieder mit ihr streiten, nie wieder mit ihr lachen, sie nie wieder umarmen, sie ansehen, ihr zuhören. Es gibt keine Entschuldigungen mehr und keinen Dank.

Die Zeit, in der wir sie berühren konnten, egal auf welche Weise, ist endgültig und unwiederbringlich vorbei, auch wenn wir noch immer verbunden sind.

Sie ist noch immer da, sie lebt in uns, und zugleich haben wir sie verloren.

Das Band von uns zu ihr besteht weiterhin, aber das Band von ihr zu uns ist zerrissen, und darum tut Ihr Tod so weh. Darum ist es so schmerzhaft, dass sie gestorben ist.

Wir sind noch da. Wir sind noch hier. Und alles, was uns noch bleibt, ist die Mahnung, dass das Leben ein fortwährend selbstschöpferischer Ablauf von Entstehen, Wandel aber auch Vergehen ist. Es vollzieht sich in veränderlichen, wechselseitigen Abhängigkeiten*, und nichts kann das aufhalten.

Nur wir sind noch hier, und unsere Erinnerungen. Die gemeinsamen Erinnerungen, und unsere eigenen Erinnerungen. Wir können jetzt nur noch von uns selbst zehren und von dem, woran wir uns erinnern. Wir können nur noch vorwärts gehen.

Ohne sie.

Sonja Böge

* nahezu wörtliche Zitate aus den Grundgedanken: dem zweiten Über unitarischen Glauben und dem dritten Über das Leben.